Die Legende vom Ozeanpianisten

Land: Italien 1999 Laufzeit: 121 min.  Regie: Giuseppe Tornatore  Label: Plaion Pictures  : 27.4.2023  FSK: 6 – Ein Beitrag von Georgios Tsapanos:

© Plaion Pictures

Am ersten Tag des ersten Monats des ersten Jahres des neuen neunzehnten Jahrhunderts findet Danny, der Heizer des Luxusliners „Virginian“ ein zurückgelassenes Baby, adoptiert es und gibt ihm den Namen Danny Boodman T.D. Neunzehnhundert. „Die Legende vom Ozeanpianisten“ von Giuseppe Tornatore, der am Endes des Jahrhunderts in die Kinos kam, wird die Geschichte dieses Babys erzählen, wie es aufwuchs, sich als Wunderkind am Klavier herausstellte, beinahe die Liebe kennenlernte und dabei dennoch nie die Planken seines Schiffes verließ.

„Cinema Paradiso“, jene nostalgische Rückschau auf die Magie der Filmtheater vergangener Tage, tauchte 1988 wie aus dem Nichts auf und katapultierte seinen Regisseur Giuseppe Tornatore an die Spitze nicht nur des italienischen, sondern mehr noch des internationalen Films. Er konnte die (zu hohen) Erwartungen nicht erfüllen.

Sowohl „Allen geht’s gut“ (1990 mit Marcello Mastroianni) als auch „Eine reine Formalität“ (1994, mit Gérard Depardieu und Roman Polanski) sind beide auf ihre Art faszinierend, aber sie fanden ihr Publikum nicht. Also kehrte Tornatore mit „Der Mann, der die Sterne macht“ (1995) zur Kino-Nostalgie im ländlichen Italien zurück. Der war aber weit realistischer angelegt als „Cinema Paradiso“, konnte nicht mit dem Charme eines Philippe Noirét punkten und wurde als mehr vom Gleichen wahrgenommen. „Running for Cover“ nennt man das in Hollywood.

Nichts anderes hatte Tornatore ganz offensichtlich danach mit dem „Ozeanpianisten“ vor. Der Film wurde nicht nur in Englisch gedreht, die Heldenrolle ging auch an Tim Roth, wichtige Nebenrollen wurden Bill Nunn oder Peter Vaughan anvertraut. Vor allem wurde es der Film, der einem der quintessenziellen Klein- und Nebendarsteller des US-Kinos endlich die Hauptrolle schenkte, die er sich mehr als verdient hatte: Pruitt Taylor Vince. Wie entschlossen er diese einmalige Chance nutzt, ist beinahe allein das Eintrittsgeld wert.

Davon abgesehen ist „Die Legende vom Ozeanpianisten“ jedoch eine ziemlich durchwachsene Angelegenheit, in der sich zu Herzen gehende Momente zwanglos zu rundherum redundanten gesellen und dadurch mit fortlaufender Spieldauer den Eindruck zerstören, der Regisseur habe irgendeine Art Kontrolle über seine Erzählung gehabt. Dramaturgisch erinnert das Ganze an ein Panoptikum im Dunkeln, über das ein greller Suchscheinwerfer kreist, hier das eine streift, das andere dort ignoriert, um schließlich etwas Drittes hell auszuleuchten. Im Original nimmt sich Tornatore dafür zwei Stunden und 45 Minuten Zeit (es gibt auch eine kürzere, 123 Minuten lange US-Verleihfassung). Es hätten aber auch 24 Stunden oder nur 45 Minuten sein können. Die Erzählung bedingt hier nicht die Erzählzeit. Immer ein warnendes Zeichen.

Und auch die opulenten Bilder (Kamera: Lajos Koltai) sowie die überbordende Ausstattung dienen nicht dazu, die Geschichte zu unterstützen, sondern dazu, von ihr im  Extremfall sogar abzulenken. Oder um es frei nach dem Bonmot von Oscar Wilde zu sagen, der Film hat eigentlich nichts zu sagen, aber er tut es so schön. Und springt auch da noch zu kurz. Bilder sollen im Kino erzählen, damit Sprache es nicht tun muss. Im Ozeanpianisten – der sich in Rückblenden aus der Sicht von Pruitt Taylor Vince Trompeter Max manifestiert – muss die Erzählerstimme aus dem Off dem Publikum zu oft erzählen, was es sehen und denken soll. Auch diese Diskrepanz zwischen schönen aber leeren Bildern und störender aber poetischer Sprache führt dazu, dass der Film im letzten Drittel regelrecht langweilig wird.

Das größte Problem des Ozeanpianisten auf dem Weg zum Erfolg ist aber ausgerechnet die Musik, die in einem Film über einen begnadeten Pianisten doch eigentlich ein mehr als nur tragendes Element sein müsste. Am deutlichsten wird dies in der Sequenz des Pianoduells zwischen Neunzehnhundert und einer US-Jazzgröße. Man hört nicht, dass hier geniale Künstler am Werk sind. Man bekommt es immer wieder von unterschiedlichen Charakteren aufs Brot geschmiert. Dass Neunzehnhundert gewinnt, weiß man, weil das Publikum frenetisch applaudiert. Und man weiß dass es das nur tut, weil es im Drehbuch stand. Es ist fast ein Schrecken sich daran zu erinnern, dass die Musik vom Maestro Ennio Morricone stammen soll. Es wirkt, als habe dieser hier Kompositionen recycelt, die er für andere Filme konzipiert, dann aber verworfen hatte. Vor allem die genialen Melodien zu Sergio Leones „Es war einmal in Amerika“ (1984) klingen immer wieder an.

Was immerhin dazu passen würde, dass „Die Legende vom Ozeanpianisten“ auch sonst wie ein Zitatekästlein wirkt. Das beginnt bei Titel und Grundidee, die natürlich Bernardo Bertoluccis „Novecento“ (1976, auf Deutsch „1900“) entlehnt ist und hört bei der tiefen  Verbeugung vor den Bildwelten Federico Fellinis nicht auf (hier kommen vor allem „Amarcord“ (1974) und „E la nave va“ (1984) in den Sinn. Ganz zu Beginn gibt es eine Homage an Elia Kazans ebenso wundervollen wie zu Unrecht geschmähten „America, America“ (1963), in der alles, Kamera, Musik und Off-Kommentar so kongenial aufs Feinste aufeinander abgestimmt sind, dass sie fast mit den vielen folgenden Nachlässigkeiten versöhnt.

Ebenso wie die beinahe makellose Schönheit des Gesichts der bei den Dreharbeiten erst 17jährigen Melanie Thierry, das die gesamte  Melancholie zuvor erklärt. Ob es da den Ozeanpianisten wirklich gegeben hat oder ob er ein Gebilde der lebendigen Fantasie Max ist, wen kümmert das noch, solange er uns ein solches Antlitz vor Augen führen kann.

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