Lawrence von Arabien

Land: USA 1960  Laufzeit: 228 min.  Regie: David Lean  Mit: Peter O’Toole, Anthony Quinn, Omar Sharif, Alec Guinness  Label: Plaion, FSK: 12 – Ein Beitrag von Georgios Tsapanos

© Plaion

Eigentlich muss man alle Filme, die fürs Kino entstanden sind, auch im Kino sehen. Aber es gibt einige Kinofilme, die hat man nicht gesehen, wenn man sie nicht im Kino gesehen hat, ganz gleich wie groß der Bildschirm war, auf dem man sie gesehen haben sollte. Nur in einem wirklich großen Kino mit einer wirklich großen Leinwand und herausragender Tontechnik fühlt man den Sog und die Faszination, die sie in ihrer ganzen Majestät entfalten, wie es ihre Macher beabsichtigt hatten. Zu diesen Filmen zählen Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ (UK/USA 1968), Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“ (ITA/USA 1968) und ganz bestimmt David Leans „Lawrence von Arabien“ (1962).

Aber auch Meisterwerke sind vor den Begehrlichkeiten ihrer Produzenten nicht sicher. Als „Lawrence“ im Dezember 1962 in die Kinos kam war er 222 Minuten lang. Da überlange Filme weniger Kinovorstellungen bedeuten, wurde der Film bald nach der Premiere um 20 Minuten gekürzt und bei seiner Wiederaufführung in den 1970ern nochmals von 202 auf 178 Minuten; eine Version, die man meiden sollte wie der sprichwörtliche Teufel das berüchtigte Weihwasser. Es sollte bis 1989 dauern, ehe „Lawrence“, unter Mitwirkung seines Regisseurs David Lean und seiner Legende am Schneidetisch, Anne V. Coates, sowie mit Unterstützung von Martin Scorsese und Steven Spielberg im restaurierten Director’s Cut von 228 Minuten das Licht der Projektoren erblickte. Da es heute aber leider nicht allzu viele Kinos geben dürfte, die ihn in dieser Version zeigen, sind Blu-ray und DVD die zweitbesten Chancen, dieses Filmwunder in seiner integralen Fassung zu erleben.

Wie alle großen Kunstwerke funktioniert auch „Lawrence von Arabien“ auf mehreren Ebenen. Zum Beispiel ist er ein ungemein politischer Film. Er schildert, ausgehend von T.E. Lawrence Buch „Die sieben Säulen der Weisheit“, wie die Briten die Araber mit der falschen Versprechung eines eigenes Königreich dazu brachten, im ersten Weltkrieg gegen die mit den Deutschen verbündeten Türken in den Krieg zu ziehen. Übrigens eine der Ursachen für die anhaltenden kriegerischen Unruhen in der Levante bis zum heutigen Tag. Zugleich ist er viel weniger ein Kriegs- als ein in der Wolle gefärbter Abenteuerfilm, fast schon mehr Karl May, denn Winston Churchill. Vor allem aber ist er das eindringliche Psychogramm eines Europäers, der den Geheimnissen des Orients und seiner Menschen rettungslos verfällt. Peter O’Toole spielte diesen Captain Lawrence so überzeugend, dass er sofort zum Star avancierte und man darüber beinahe vergisst, dass „Lawrence“ auch Omar Sharif als Sherif Ali zu Starstatus verhalf.

Intelligentes Unterhaltungskino, das sich nicht scheut, seinem Publikum auch was fürs Auge zu bieten. Dass sich in den größeren (Anthony Quinn, Alec Guinness, Arthur Kennedy, Jack Hawkins) wie kleineren (Anthony Quayle, José Ferrer, Claude Rains) Nebenrollen veritable Stars tummelten, war für diese Ausstattungsorgien der 1950er und 1960er Jahren die Norm. Dass die Kamera (Freddie A. Young) die production values wie die Leere der Wüste in betörender Schönheit einzufangen verstand, lag aber an der Inszenierungskunst David Leans – und André De Toths, der gemeinsam mit Kameramann Nicolas Roeg für die second unit Aufnahmen zuständig war. Das war die Zeit vor CGI. Wenn hier hunderte Reiter auf ihren Kamelen zu sehen sind, dann zogen tatsächlich hunderte von Reitern auf ihren Kamelen an den Kameras vorüber. Man sieht den Bildern den Aufwand an, der zu ihrer Entstehung betrieben wurde und ist dankbar dafür. Kino einer vergangenen Zeit.

„Lawrence von Arabien“ wurde mit Preisen und Auszeichnungen überhäuft. Er erhielt allein sieben Oscars (darunter Produzent Sam Spiegel für den Besten Film, David Lean für die Beste Regie, Freddie A. Jones für die Beste Kamera, Anne V. Coates für den besten Schnitt und Maurice Jarre für die Beste Filmmusik). Dass das Drehbuch „nur“ nominiert wurde aber nicht gewann, zählt zu den vielen kleineren und größeren Verbrechen, derer sich die Academy im Laufe ihrer Geschichte schuldig gemacht hat. Dafür aber wurde eine große Ungerechtigkeit endlich korrigiert. Heute steht neben Robert Bolt auch der Name Michael Wilson als Drehbuchautor in den Credits. 1962 war Wilson noch ein Opfer der schwarzen Listen der McCarthy-Ära. Nehmen Sie sich Zeit für diesen Film. Er wird es Ihnen danken.

Dieser Beitrag wurde unter Drama, Kriegsfilm, Literaturverfilmung abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..