Kino-Nostalgie: Die Macht der Matrix

Kaum ein Kinozuschauer macht sich wohl Gedanken darüber, was so alles hinter den Kulissen (also im Vorführaum) abläuft, während er im Dunkel des Saals seinen Film genießt. Ich möchte darüber ein bisschen berichten…

In der Anfangszeit des Kinos war alles einfach: Der Vorführer hat die Lampe im Projektor angemacht und dann den Film mit einer Handkurbel in Bewegung versetzt.

alterprojektor

Später war jahrelang die manuelle Steuerung der Kinovorstellung üblich:

  1. Licht im Saal ausmachen
  2. Vorhang öffnen
  3. Projektor starten
  4. Filmvorführung…
  5. Projektor stoppen
  6. Vorhang schließen
  7. Licht im Saal anmachen

Eine weitgehende Automatisierung fand durch die Walzenautomaten statt: Ähnlich wie bei einer Waschmaschine oder einer Spieluhr drehte sich eine Walze ein Stück weiter und löste mechanisch die erforderlichen Schaltvorgänge aus:

walzenautomat

Der Walzenautomat der Kronberger Lichtspiele, der bis 2012 im Einsatz war.
Herzlichen Dank an den damaligen Kino-Besitzer und -Betreiber für dieses Foto.


Im analogen Vorführraum des Kinos gab es für den Vorführer viel zu tun; vor allem, wenn er gleich mehrere Säle zu bedienen hatte. Einige der regelmäßigen Vorgänge waren:

  • Ein- und Ausschalten des Saallichts
  • Ein- und Ausschalten des Bühnenlichts
  • Öffnen und Schließen des Vorhangs
  • Einstellen der korrekten Abdeckung (Kasch) vor der Leinwand
  • Einlassmusik ein- und ausschalten
  • Projektoren starten
  • Einstellung passender Objektive und Bildmasken.

Der Vorführer löste alle im Saal sowie im Vorführraum notwendigen Aktionen über Schaltkästen bzw. am Projektor aus. Der abgebildete Schaltkasten diente der Steuerung des Saal- und Bühnenlichts (1. und 2. senkrechte Reihe), des Vorhangs (3. Reihe) sowie der Abdeckung des Leinwandkaschs:

Schaltkasten-alt

Schaltkasten aus den 1960er Jahren

Dieser Schaltkasten steuerte Saal- und Bühnenlicht, Kasch und Vorhang, Objektiv-Revolver und andere Funktionen der beiden Projektoren:

Schaltkasten-neu

Schaltkasten aus den 1980er Jahren

Der Matrix-Automat (im Fachjargon: Die Matrix) brachte eine weitere, sehr flexible Steuerung aller Vorgänge. Dieser Apparat, den es als externe Lösung und später auch direkt in den Projektoren eingebaut gab, konnte programmiert werden…

Hier eine Matrix, die im Projektor FP30 eingebaut ist:

MatrixFP30

Matrixautomat im Projektor FP30 eingebaut

Hier ein Matrix-Automat, der in einem externen Gehäuse eingebaut war:

Matrixautomat der Firma Kinoton

Matrixautomat der Firma Kinoton

  • Die rote Taste setzt die Matrix auf die erste Zeile zurück.
  • Der Kippschalter darunter macht die Matrix unscharf. Sie reagiert dann nicht mehr auf Impulse.
  • Der weiße Taster gibt einen manuellen Impuls auf die Matrix und schaltet sie eine Zeile weiter

Und hier eine mir unbekannte Ausführung:

cinemat800

Durch Stecken von Diodensteckern (siehe Abbildung) wurden periodische Abläufe und

Diodenstecker

Diodenstecker für die Programmierung der Matrix,
am geöffneten Exemplar kann man den integrierten Halbleiter sehen

ganze Vorstellungen programmiert. Die Löcher jeder horizontalen Zeile entsprechen einem Programmschritt und stehen für die einzelnen auszulösenden Vorgänge.
In die nächste Programmzeile schaltet die Matrix durch einen Impuls: Dieser kann mehrere Quellen haben:

  1. Der Vorführer gibt einen Impuls auf die Matrix (Druck auf die weiße Taste Impuls)
  2. Auf dem Film klebt eine Alufolie, die am Projektor mittels Metalldetektor erkannt wird und einen Impuls auf die Matrix gibt
  3. Die Matrix kann sich – mit zeitlicher Verzögerung von 5 oder 10 Sekunden – auch selbst einen Impuls geben.
Filmmitfolie

35 mm-Film mit aufgeklebter Alu-Folie zum Weiterschalten der Matrix

Im Projektor löst ein Metalldetektor einen Impuls aus, wenn die Folie auf dem Filmstreifen vorbeiläuft:

FP30

Der Foliensensor wartet auf Alu-Streifen auf der Filmkopie…

Das folgende Formular dient der Erstellung von Programmabläufen. Die Funktionen der einzelnen Spalten bedeuten dabei:

Matrixschablone

Formular zum Erstellen von Matrixprogrammen

  • Projektor 1 an und aus
  • Projektor 2 an und aus
  • Saallicht an
  • Saallicht aus
  • Bühnenlicht an
  • Bühnenlicht aus
  • Bildmaske und Objektiv sowie Leinwandkasch auf Normalformat stellen
  • Bildmaske und Objektiv sowie Leinwandkasch auf Breitwand 1,65 stellen
  • Bildmaske und Objektiv sowie Leinwandkasch auf Breitwand 1,85 stellen
  • Bildmaske und Objektiv sowie Leinwandkasch auf Cinemascope stellen
  • Einlassmusik (Tonband oder CD-Spieler) an
  • Einlassmusik (Tonband oder CD-Spieler) aus
  • Einlassmusik auf die Verstärker schalten (Ton wird im Saal gehört)
  • Ton von Projektor 1 auf die Verstärker schalten (Ton wird im Saal gehört)
  • Ton von Projektor 2 auf die Verstärker schalten (Ton wird im Saal gehört)
  • 10 Sekunden warten, dann in nächste Zeile schalten
  • 5 Sekunden warten, dann in nächste Zeile schalten
  • Ton vom Film plus andere Tonquelle auf die Verstärker schalten (wird im Saal gehört)

Ein vereinfachtes Standardprogramm für eine Kinovorstellung könnte so aussehen:

  1. Musik im Saal an, Ton auf Verstärker umleiten, Saallicht und Bühnenlicht an
    (= Einlass im Kino)
  2. Lichter dunkel dimmen, Vorhang öffnen
  3. Projektor starten, Einlassmusik aus, Filmton auf Verstärker legen
  4. Lampe im Projektor zünden (= Vorstellung läuft)
  5. Lampen im Saal an, Vorhang zu, Maschine aus, Einlassmusik auf Verstärker (wird meist durch einen Alustreifen auf dem Film ausgelöst)

Im digitalen Kino der Gegenwart ist alles anders: Die Filme liegen – wenn sie nicht live via Satellit übertragen werden – als Dateien auf einem Server, der Ablauf der Vorstellung wird durch einen Computer gesteuert.

Hier ein paar Beispiele vom Kinoserver Doremi, der mit Linux betrieben wird:

Doremi-Optionen

Hier werden einige der möglichen Schaltvorgänge (wie in der Matrix) aufgelistet,
die der Steuerung des Programmablaufes dienen

Hier werden Filme & Trailer von externen Speichern (Festplatten oder USB-Sticks) importiert

Hier werden Filme & Trailer von externen Speichern (Festplatten oder USB-Sticks) importiert

Doremi-Spielplan

Hier ist das Programm (Zeitcodes und Vorgänge) für eine Kinowoche zu sehen

Doremi-Saalsteuerung

Links: Die Elemente zur Steuerung
Rechts der Programmablauf mit Timecodes

Doremi-Vorstellung

Hier das Infofenster zu einer laufenden Vorstellung:
Oben läuft gerade ein Trailer (Spielzeit 1:03), 
unten die Zeitanzeige für die gesamte Vorstellung (2 h, 2 min, 21 sek)

 

 

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2 Antworten zu Kino-Nostalgie: Die Macht der Matrix

  1. Holger Fischer schreibt:

    Im digitalen Kino der Gegenwart ist alles anders: Die Filme liegen – wenn sie nicht live via Satellit übertragen werden – als Dateien auf einem Server, der Ablauf der Vorstellung wird durch einen Computer gesteuert“

    Der Computer steuert den Ablauf? Das klingt wirklich schon fast nach Matrix. Wenn ich an Matrix denke, so fällt mir der Roman Simulacron-3 aus dem Jahr 1964 von Daniel F. Galouye ein. Da werden Welten vom Supercomputer Simulacron-3 gesteuert. 1973 wurde dieser Roman erstmals mit dem Titel Welt am Draht verfilmt ->

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