Im letzten Sommer

Land: F 2023  Laufzeit: 100 min.  Regie: Catherine Breillat  Mit: Léa Drucker, Samuel Kircher, Olivier Rabourdin, Clotilde Coureau  Label: Alamode  FSK: 6 – Ein Beitrag von Georgios Tsapanos

© Alamode

Catherine Breillat, 1948 geboren, ist eine ganz besondere Filmemacherin. Zum einen, weil sie eine Filmemacherin ist. Auch wenn es heute deutlich mehr Frauen auf dem Regiestuhl gibt als noch vor zwanzig, dreißig Jahren, ist der Regisseursberuf immer noch eine Männerdomäne. Zum anderen, weil sie seit ihrem Debüt, „Ein wirklich junges Mädchen“ (1976), der auf ihrem eigenen Roman basierte, den sie mit 17 geschrieben hatte, ihr Werk kontinuierlich ausbauen konnte. Vor allem aber, weil sie zeitlebens ihrem Thema, der Macht der Liebe über Männer und Frauen und die Anziehung der Sexualität vor allem auf junge Frauen und Mädchen, treu geblieben ist.

Es mag bis heute keinen hundertprozentig gelungenen Breillat-Film geben (dem am nächsten kommt wohl „Meine Schwester“ aus dem Jahr 2001), aber es gibt auch keinen Breillat-Film, der selbst im Scheitern nicht um Längen interessanter wäre als die Dutzendware mittlerer Art und Güte, die heute so viele Leinwände und Bildschirme verstopft. So gesehen ist das Erscheinen von „Im letzten Sommer“ (2023) eine Freude, denn es ist der erste Film, den Catherine Breillat in Folge einer Erkrankung nach zehnjähriger Pause inszeniert hat. Und er ist zugleich eine mittelgroße Enttäuschung. Dazu gleich mehr.

Erzählt wird von Anne, Anfang 50, Anwältin, immer noch verliebt verheiratet mit Pierre, einem Geschäftsmann und wohl situiert mit zwei adoptierten Töchtern. Französisches Bildungsbürgertum, das über alles belesen parlieren kann – bis das wirkliche Leben in diese leicht aseptische Idylle in Person von Pierres 17jährigen Sohn aus erster Ehe namens Theo (also Gott, was kein Zufall ist, wie kein einziges Zeichen in diesem Film Zufall ist) einbricht. Der ist jung und schön, aber auch nervig und anstrengend, weil auch ein bisschen einfältig. Jedoch  nicht einfältig genug, um nicht zu merken, dass er in Anne mehr weckt als stiefmütterliche Fürsorge.

Lange Rede kurzer Sinn: Anne und Theo geben sich einer für das französische Kino so typischen amour fou hin, einer närrischen, besser verrückten Liebe, außerhalb aller Konventionen und gesellschaftlich akzeptierter Rollen- und Altersbilder. Der ältere Mann, der (sich) eine deutlich jüngere Geliebte nimmt? Was für ein Glückspilz, wobei Geld nur dem schadet, der nicht genug davon hat. Die ältere Frau aber, die den jüngeren Mann, den Jungen eigentlich, nimmt? Was für eine Schlampe. Ist das Missbrauch eines Minderjährigen oder ist es die Selbstermächtigung der reifen Frau, die für sich selbstverständlich in Anspruch nimmt, was Generationen älterer wohlhabender Männer halb augenzwinkernd, halb neidisch zugestanden wurde? Breillat lässt ihr Publikum mit diesem Urteil allein.

Das muss sich mit der Ahnung, dass diese Nummer nicht gut enden kann und mit dem augenscheinlichen, nicht nur erotischen Vergnügen Annes auf dem Weg dorthin irgendwie arrangieren. Wie dieses Arrangement aussieht, sagt wahrscheinlich über jede einzelne Zuschauerin und jeden einzelnen Zuschauer mehr aus als über Anne, Pierre, Theo oder Catherine Breillat. Diese konsequente Weigerung den Erotizismus (was etwas anderes ist als die bloße Erotik nackter Körper) als Problem zu zeichnen, am allerwenigsten für Annes Wahrnehmung ihrer Ehe, selbst wenn die Dinge böse enden werden, ist das stärkste Moment „Im letzten Sommer“.

Woher also die mittelgroße Enttäuschung? „Im letzten Sommer“ ist Catherine Breillats im Wortsinne unoriginellster Film. Denn er ist ein Remake der dänischen Produktion „Königin“ (2019, Beitrag) von May el-Toukhy. Und auch wenn Léa Drucker als Anne der darstellerischen Leistung Trine Dyrholms in nichts nachsteht, ist alles, was an „Im letzten Sommer“ gut ist, bereits in „Königin“ vorhanden. Wozu also dieses Remake? Es ist diese Frage, die Catherine Breillat letztlich weder durch ihren Film noch von ihm abgesehen beantworten kann.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Drama abgelegt und mit , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..