Master Gardener

Land: USA 2023  Laufzeit: 114 min.  Regie: Paul Schrader  Mit: Joel Edgerton, Sigourney Weaver, Quintessa Swindell  Label: Leonine  FSK: 16 – Ein Beitrag von Georgios Tsapanos

© Leonine

Paul Schrader ist ein Solitaire nicht nur des US-amerikanischen Kinos. Er ist ein Künstler unter Händlern und Handwerkern. Sein Leben ist mit dem Kino so sehr verbunden, wie sonst vielleicht nur noch das François Truffauts. Für beide waren Kinogänge kleine Fluchten in große Welten, hinaus aus der Enge der eigenen Wirklichkeit. „Bei meinem strenggläubigen calvinistischen Elternhaus“, hat Schrader einmal gesagt, „war der Besuch eines Kinos bereits ein Akt der Rebellion.“

Natürlich ist es kein Zufall, dass beide Filmemacher, Schrader und Truffaut, als Filmkritiker begannen. Keine geringere als die Großmeisterin der amerikanischen Filmkritik, Pauline Kael, erkannte Schraders Talent und förderte ihn. Sein Buch „Transcedental Style in Film. Ozu, Bresson, Dreyer“ (1972) fehlt bis heute in keinem Kanon der Filmliteratur. Sein im selben Jahr in der Zeitschrift Film Comment erschienener Aufsatz „Notes on Film Noir“ hat entscheidend zur Karriere des Neo-Noir im Hollywood-Kino der 1970er und 80er beigetragen.

Aber Schrader reichte es nicht, nur über Filme zu schreiben, er wollte Filme schreiben. Und er landete mit einem bemerkenswerten Tripple auf der Bildfläche: „The Yakuza“ (1974, Sydney Pollack), „Obsession“ (1976, Brian De Palma) und natürlich sein opus magnum „Taxi Driver“ (1976, Martin Scorsese). Wer „Taxi Driver“ liest (ist bei faber and faber erschienen), merkt rasch, dass der Film nur zur Hälfte Scorsese gehört. Die beiden blieben freundschaftlich und beruflich verbunden. Schrader schrieb für Scorsese noch „Raging Bull – Wie ein wilder Stier“ (1980), „Die letzte Versuchung Christi“ (1988) und „Bringing out the Dead (1999), aber auch „The Mosquito Coast“ (1986) für Peter Weir.

Das ist insofern nicht selbstverständlich, da Schrader 1978 mit „Blue Collar“ seine eigene Regiekarriere begonnen hatte (wer je auf Jack Nitzsches Score zu „Blue Collar“ stoßen sollte: Kaufen!). Er avancierte rasch zu einem der wichtigsten, umstrittensten, aber allein deshalb an der Kinokasse nicht erfolgreichsten Filmeautoren Hollywoods. Man muss aber auch zugeben, dass er neben Meisterwerken wie „American Gigolo“ (1980), „Cat People“ (1982), „Mishima“ (1985), „Patty Hearst“ (1988), „Der Trost von Fremden“ (1990), „Light Sleeper“ (1992) und „Affliction“ (1998) manche Filme gemacht hat, mit denen man sich wirklich nicht weiter aufhalten muss: „Touch“ (1997) zum Beispiel, oder „Forever Mine“ (1999). Bis er mit „The Canyons“ (2013), „Dying oft he Light“ (2014) und “Dog Eat Dog” (2016) den absoluten Nadir seiner Karriere erreichte.

Nur um 2017 wie Phönix aus der Asche mit „First Reformed“ wieder aufzuerstehen, womit wirklich niemand mehr gerechnet hatte. Schrader bezeichnete „First Reformed“ als ersten Film einer Trilogie über Männer, die mit ihrer eigenen Vergangenheit und der amerikanischen Gegenwart kämpfen. Wer da nicht sofort an „Taxi Driver“ denkt, kann „Taxi Driver“ nicht gesehen haben. Auf „First Reformed“ folgte „The Card Counter“ (2021) und nun „Master Gardener”, der seine gefeierte Premiere vor etwas über einem Jahr in Venedig erlebte, aber erst 2023 in die Kinos kam.

Der titelgebende Gärtner heißt Narvel Roth, ein hoch aufgeschossener Mann in einem kargen Körper, der die Haare streng und akkurat gescheitelt trägt, was hier durchaus zu Rückschlüssen auf seine Persönlichkeit einladen soll. Gespielt wird er von Joel Edgerton in außergewöhnlich eindringlicher, weil zurückgenommener Weise. Sein Reich ist Gracewood Gardens, eine weitläufige Anlage wohl irgendwo im Süden der USA, aus der die Welt hermetisch ausgeschlossen wurde, um das Roth sich in enervierender Ruhe und detailversessenen kümmert. Die Besitzerin des Anwesens ist Norma Haverhill (herausragend: Sigourney Weaver), die aus dem antebellum Süden übriggeblieben und mit Marvel ein obsessives Verhältnis zu Ordnung zu teilen scheint.

Narvels und Normas Beziehung bleibt den ganzen Film über rätselhaft. Auf der einen Seite formvollendet förmlich, stets darauf bedacht, wer Herrin und Diener ist. Auf der anderen von einer Nähe und gegenseitiger Verpflichtung gekennzeichnet, die erotische Untertöne nicht nur andeutet. Narvel hütet den Garten nicht nur aus Leidenschaft, sondern auch um Buße zu tun für seine Vergangenheit als Mitglied einer Neonazi-Miliz (in kurzen Rückblenden, mit langen, ungewaschenen Haaren und Vollbart), die er an die Behörden verraten hat und nun unter neuem Namen in diesem Garten auch vor der Welt versteckt wird. Von dieser Vergangenheit erzählen die eindeutigen Tattoos über seinem gesamten Oberkörper, die Norma so gerne in ihrem Schlafzimmer anschaut.

Eines Tages bittet, nein, befiehlt Norma ihrem Gärtner, sich um die Tochter ihrer Nichte, die von „gemischtem Blut“ sei, zu kümmern und sie in seinem Gärtnerteam aufzunehmen. Es ist diese Beimengung von Außen, die die heile Welt des Gartens zusammenbrechen lassen wird. Narvel fühlt sich nicht nur in väterlicher Weise zu Maya hingezogen  (Quintessa Swindell, fantastisch in einer schwierigen Rolle, die eigentlich nur Instrument für die Erlösung des Mannes von seinen Sünden ist). Und auch Maya spürt, dass hinter der Fassade Narvels Tiefen, vielleicht auch Untiefen lauern. Diese Entwicklung bleibt auch Norma nicht verborgen und sie verweist Narvel und Maya des Gartens.

Paul Schrader zitiert hier nichts anderes als die biblische Vertreibung aus dem Paradies (paradis bedeutet im Persischen nicht zufällig „eingehegtes Gelände“ oder auch „Garten“). Es folgt danach sogar eine Szene, in der Narvel und Maya nackt voreinander stehen und sich nicht nur im biblischen, sondern auch im politischen Sinn erkennen. Die christlichen Glaubensuntertöne, die sich durch den ganzen „Master Gardener“ ziehen, lassen ihn zu einem zusätzlich differenzierten lesbaren Film werden. Der Autor dieser Zeilen ist überzeugt, dass Schrader an dieser Stelle seinen Film hat enden lassen wollen. Den Zwängen der Vermarktbarkeit verdankt er einen kathartischen Anhang, in dem junge Vandalen in den Garten einbrechen und diesen heiligen Ort schänden. Narvel wird ihnen wenig zweideutig klarmachen, dass das keine gute Idee war und sich dadurch das Recht verdienen, mit Maya als Mann und Frau wieder und weiter im Garten leben zu dürfen. Immerhin: Von einer Rückkehr ins Paradies konnten Adam und Eva nur träumen.

„Master Gardener“ ist kein einfacher Film und sicher auch kein „unterhaltsamer“ in der weitläufigen Verwendung des Begriffs. Er verlangt von seinem Publikum ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit für Details. Nichts, das Alexander Dynans Kamera einfängt verdankt sich dem Zufall oder wäre gar überflüssig. Die Bilder dieses Films sind so streng komponiert wie Narvels Haare gescheitelt. Man muss beispielsweise darauf achten, wann und weshalb sich Norma einen Cardigan überwirft. Oder darauf, dass der Garten nie in seiner ganzen Pracht und Blüte gezeigt wird, sondern meistens in den Phasen des Übergangs, in der das Grün der Pflanzen mit dem Braun des Bodens um die Vorherrschaft ringt.

Unter Schraders Alterstrilogie ist „First Reformed“ sicher der zugänglichste, „Master Gardener“ aber der in herausfordernder Weise einnehmendste der drei, so man bereit ist, sich auf seine Erzählung zwischen Zeichen und Wundern, sein Tempo und sein religiöses Fundament einzulassen. Erwachsenes Kino für ein erwachsenes Publikum.

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