Andy Warhols Dracula

Land: USA 1970  Laufzeit: 105 min.  Regie: Paul Morrissey  Mit: Joe Dallesandro, Vittorio De Sica, Udo Kier  Label: Plaion  FSK: 18 – Ein Beitrag von Georgios Tsapanos

© Plaion

Es gab eine Zeit, da hat das Kinogehen noch geholfen. Die Kinos, von denen hier die Rede ist, waren nicht bloß Abspielstätten für Filme. Sie waren ein zweites, manchen sogar ein erstes Zuhause. Die Menschen gingen hin, um nicht allein, um unter Freunden, unter Gleichgesinnten zu sein. Diese Kinos spielten noch eine besondere Art Film: Midnight Movies, deren Bedeutung die deutsche Version des Begriffs, Spätvorstellungen, nicht mal annähernd umfasst.

Niemand erwartete von diesen Filmen Kunst und doch waren sie Kunstwerke ganz eigener Art, in denen es immer mehr Blut, mehr Pathos, mehr Unsinn und ja, auch mehr nackte Haut zu sehen gab als in den Streifen, die Kritiker in ihren Kanon aufnahmen. Für diese Filme ist die Bezeichnung guilty pleasure erfunden worden, denn man hat sich köstlich amüsiert, solange das Licht der Leinwand die einzige Quelle war, die den Zuschauerraum mal mehr, meist aber weniger erleuchtete.

„Andy Warhols Dracula“ (1974) wurde für diese Art Kinos und für diese Art Kino produziert. Nicht anders als sein direkter Vorfahr „Andy Warhols Frankenstein“ (1973). Der Zusatz „Andy Warhols“ im deutschen Verleihtitel war insoweit berechtigt, als Warhol (gemeinsam mit den namhaften Andrew Braunsberg, Jean Yanne und sogar Carlo Ponti) zu den Produzenten der Streifen zählte. Außerdem hatte der tatsächliche Autor (Regie und Buch) Paul Morrissey Ende der 1960er an zahlreichen Filmprojekten in Warhols Factory mitgearbeitet.

Worum geht es: Zu seiner Bestürzung muss Graf Dracula (Udo Kier in einer faszinierenden Interpretation irgendwo zwischen Somnambulismus und Wahnsinn) feststellen, dass in Rumänien die Jungfrauen ausgehen. Also ziehen Blutsauger und Diener Anton nach Italien. In einem katholischen Land werde es sicher mehr Jungfrauen geben. Tut es auch. Marchese Di Fiori (niemand geringerer als der Großmeister des italienischen Neorealismus Vittorio De Sica) hat gleich vier davon zu bieten. Nur entpuppen sich die jungen Damen beim ersten Biss als weit weniger jungfräulich als zu sein sie vorgaben. Ein moralisches Versagen, an dem Dracula in jedem nur erdenklichen Sinne des Wortes leidet.

Und dann ist da noch Diener Mario (Joe Dallesandro, in diesen Kreisen seinerzeit ein veritabler Underground-Star und bis heute noch aktiv, zuletzt in „Babylon“), der sich dem Grafen in den Weg stellt. Wobei es Mario nicht nur darum geht, das Böse zu bekämpfen, sondern vor allem  das Adelige, denn der gute Mann ist Kommunist. Er sorgt nicht nur handgreiflich dafür, dass die jüngste Tochter nicht dem Blutsauger in die Hände fällt, indem er sie selbst entjungfert (man könnte auch von Vergewaltigung reden), am Ende übernimmt er die Herrschaft.

Man kann das alles furchtbar ernst nehmen – und tatsächlich haben viele kluge Leute lange Texte über den Film und seine klassenkämpferische Erweiterung der Dracula-Mythos geschrieben – oder mit der Handlung und ihrem Personal seine diebische Freude haben. Die Wiederveröffentlichung des Streifens in der de-luxe-Version (Mediabook!) schafft Raum für beides. Ein nostalgischer Blick zurück auf Kino, wie es nicht mehr ist und nie mehr sein wird.

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