Miller’s Girl

Land: USA 2024  Dauer: 93 min.  Regie: Jade Halley Bartlett  Mit: Jenna Ortega, Martin Freeman, Bashir Salahuddin, Gideon Adlon, Dagmara Dominczyk, Christine Adams  Label: Studiocanal  FSK: 16 – Von Georgios Tsapanos

© Studiocanal

Die Wunderwelt der sozialen Netzwerke. Nicht nur reichlich merkwürdige, vielleicht sogar gefährliche Gottesgeschöpfe versuchen dort ihr Glück als Menschenfänger, auch jugendliche Leser, vor allem aber Leserinnen vermitteln als Bookfluencer anderen jugendlichen Lesern, meist aber Leserinnen ihre Lust an neuem Lesestoff. Meist handelt es sich dabei um die Irrungen und Wirrungen der Liebe, durch die die jugendlichen Helden, hauptsächlich aber Heldinnen durchmüssen. Die Marketingabteilungen der Verlage waren rasch mit einem Label bei der Hand: Young Adult. Inzwischen zieren die Produkte dieses Subgenres halbe Hallen richtiger Buchmessen.

Obwohl nach einem Originaldrehbuch seiner Regisseurin Jade Halley Bartlett entstanden, wirkt „Miller’s Girl“ wie der Prototyp einer Young Adult-Verfilmung. Junge, mit sich und ihrer Umwelt hadernde, zugleich literaturbesessene Schülerin namens Cairo Sweet (kein Witz!) weckt das Interesse, und wahrscheinlich auch ein wenig mehr, ihres Lehrers und verhinderten Autors Jonathan Miller. Wer hier nicht an Vladimir Nabokovs „Lolita“ denkt, sollte bei der nächsten Party lieber nicht darauf bestehen, Literatur zu lieben. Ironischerweise besteht „Miller’s Girl“ aller Literaturaffinität zum Trotz darauf, von „Lolita“ sozusagen nie etwas gehört zu haben. Nicht zufällig reitet Cairos Off-Erzählerin gleich zu Beginn darauf herum, gerade volljährig geworden zu sein. Wahrscheinlich, weil sie obenrum hochgeschlossen, in kurzem Röckchen und Kniestrümpfen nach höchstens 16 aussieht.

Keine Sorge: In „Miller’s Girl“ geht es gerade so schlüpfrig zu wie es die neue amerikanische Prüderie eben noch zulässt. Erotisches, pornographisches gar (der Film meint das Werk Henry Millers) wird an amerikanischen staatlichen Schulen nicht gelehrt und in diesem Film bestenfalls referiert. So widmet Regisseurin Bartlett die erste Hälfte ihres Films – übrigens mit ebenso erheblichem wie beeindruckendem Stilwillen in Sachen Farbgebung und Ausstattung – dem schleichenden Übergang von Geschmeicheltsein des älteren Lehrers zu einer verhängnisvollen Verliebtheit. Das Wort „unangemessen“ findet in der Folge oft Verwendung. Jenes Wort, dass es im Zuge der Affaire zwischen Bill Clinton und Monica Lewinsky zu zweifelhafter Prominenz brachte.

Aber bereits hier wird deutlich, dass Cairo nicht nur „Miller’s Girl“, sondern Miller auch „Cairo’s Man“ ist. Der Lehrer hat von Anfang an keine Chance gegen die berechnenden Schmeicheleien des jungen Mädchens (sie gibt nicht nur vor den einzigen und von der Kritik in der Luft verrissenen Roman des Lehrers zu kennen, sie zitiert auswendig daraus). Und als er eine Schreibübung Cairos als „unangemessen“ zurückweist (sie sollte eine Geschichte im Stile eines anderen Autors und präsentiert einen anspielungsreichen Text, als stammte der von Henry Miller), empfindet das die angehende Literatin als Zurückweisung ihres ganzen Selbst. Von da an wenden sich die Vorzeichen zwischen Mentor und Elevin. Er wird an seiner Idee von Leidenschaft scheitern, weil es einem jungen Mädchen so gefällt. Miller hätte es bei Shakespeare nachschlagen können: „Hell hath no fury like a woman scorned“.

So wie die Sinnlichkeit versteckt sich der gute Film, der „Miller’s Girl“ auch ist, zwischen den Bildern. Ihn aus der Flut des Sichtbaren herauszudestillieren, bereitet geraume Zeit durchaus Vergnügen. Irgendwann aber beginnt man Anstoß daran zu nehmen, dass der Film sich nicht weniger selbst im Wege steht, als es seine Protagonisten tun. Was auch daran liegt, dass Jade Halley Bartlett beide nicht nur sehr feinfühlig zeichnet, sondern sie zugleich karikiert (Cairos lässig im Mundwinkel hängende Zigarre als Zeichen der Verruchtheit, Millers eines erwachsenen Mannes unwürdiger Dackelblick). Dass das ganze irgendwie doch funktioniert, liegt vor allem an den Hauptdarstellern. Martin Freeman hat seine gesamte Karriere auf der nuancierten Darstellung von Biederkeit aufgebaut. Und wenn man nicht wüsste, dass Jenna Ortega die Rolle der Wednesday Addams nicht bereits verkörpert hätte, man würde sie ihr sofort anbieten.

Ortega, das nur als Nachgedanke, war zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 21 Jahre alt und spielt einen Teenager. Lauren Bacall war zum Zeitpunkt der Dreharbeiten von „Haben und Nichthaben“ (1944) 18 Jahre alt und spielte eine Frau, der Humphrey Bogart mit Haut und Haar erliegt, im Film wie in der Wirklichkeit.

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