Jacques Tati – Sein Leben und seine Kunst

Buchtitel: Jacques Tati – Sein Leben und seine Kunst  Autor: David Bellos, Angelika Arend (Übersetzung)  Verlag: Mitteldeutscher Verlag, Juni 2024  Umfang: Hardcover, 13.5 x 21 cm, 544 Seiten, Lesebändchen  ISBN: ISBN 978-3-96311-879-1  Preis: 32 Euro, 24.99 Euro (E-Buch)

© mitteldeutscher verlag

Seit ich Jacques Tatis Kultfilm Die Ferien des Monsieur Hulot etwa 1981 auf einem klappernden 16 mm-Projektor vorgeführt hatte, bin ich von diesem französischen Ausnahmeregisseur begeistert. Gerade ist die deutsche Übersetzung einer umfangreichen Biografie im Mitteldeutschen Verlag erschienen, die alle Fragen über Jacques Tati (1907-1982) beantworten sollte.

Da mein letztes Buch über Tati aus den 80er Jahren stammt, habe ich mich wie ein Schnitzel über das neue Buch gefreut – zumal der Verlag noch ein paar Zugaben dazugepackt hat:

Als Autor zeichnet der Literatur-Professor David Bellos verantwortlich, der unter anderem als Übersetzer tätig ist  und bereits Biografien über Schriftsteller verfasst hat.
Er arbeitet sich chronologisch und mit unzähligen Details durch das Leben Jacques Tatis, der als Jacques Tatischeff geboren wurde und dessen filmische Komödien vor allem auf visuellem Humor basieren. Neben einer Handvoll früher Kurzfilme ist sein Œuvre sehr übersichtlich:

  • Tatis Schützenfest (1949)
  • Die Ferien des Monsieur Hulot (1953)
  • Mein Onkel (1958)
  • Playtime – Tatis herrliche Zeiten (1967)
  • Trafic (1971)
  • Parade (1974, TV-Film)

David Bellos hat bei seinen Recherchen auch bisher unzugängliche Archive durchsucht und dabei Filmmaterial, Videos, aufgezeichnete Interviews und frühe Entwürfe von Drehbüchern ausgewertet sowie die Mithilfe von Tatis Tochter – der Regisseurin Sophie Tatischeff (1946–2001) – in Anspruch genommen.

Tatis Alter Ego heißt Monsieur Hulot. Dessen Kennzeichen sind Hut, Pfeife, Regenschirm,  gestreifte Socken und ein ewiger Kampf mit den Errungenschaften der modernen Zivilisation. Er steht im Mittelpunkt von vier Spielfilmen.

Zurück zum Buch: Der dicke Band ist in vier Hauptkapitel (mit insgesamt 45 Unterabschnitten) gegliedert, die sich mit den einzelnen Lebensabschnitten von Jacques Tati befassen:

  1. Jahre der Mühen, 1907-1946
  2. Jahres des Erfolgs, 1946-1960
  3. Playtime, 1960-1970
  4. Confusion, 1970-1982

Wir lesen über Tatis Kindheit, die frühen Jahre mit wechselnden Tätigkeiten und schließlich seiner Zuwendung zur Bühne, zum Zirkus und zum Kabarett. Nach kleinen Rollen in Kurzfilmen schließlich das Regiedebüt „Tatis Schützenfest„, der als erster französischer Farbfilm gilt. In Die Ferien des Monsieur Hulot tritt er erstmalig als der titelgebende Sonderling auf. Der Folgefilm Mein Onkel gewann den Spezialpreis der Jury in Cannes und heimste einen Oscar als bester fremdsprachiger Film ein.

Auf der Welle des Erfolges schwimmend verstieg sich Tati mit dem Mammutprojekt Playtime: Er drehte über drei Jahre auf sündhaft teurem 70 mm-Film, für die gigantischen Kulissen gab er viele Millionen Franc aus. Die futuristische Vision ging trotz guter Kritiken an den Kinokassen unter…
Das Spätwerk Trafic fiel wegen des vorangegangenen Desasters bescheiden aus, mit dem schwedischen Kinderfilm Parade kehrte Tati abschließend zu seinen Wurzeln im Zirkus zurück.

Wie der Umfang dieses gewaltigen Werkes – leider gibt es nur 94 Abbildungen mit überschaubarer Qualität und Größe – erahnen lässt: Davis Bellos hat viel zu erzählen. Und er schweift immer wieder in geschichtliche Ereignisse ab, die nicht unbedingt mit dem Leben und Wirken Tatis zu tun haben.
Ebenso erzählt der Autor gerne und viel von Kinotechnik und fachsimpelt beispielsweise von Filmverfahren oder Bildformaten. Für mich als Kinomensch ein Vergnügen reinsten Wassers, für andere Leser/innen schlimmstenfalls ein Grund, schnell weiterzublättern…

Unterm Strich ist Jacques Tati – Sein Leben und seine Kunst die lesenswerte Biografie eines außergewöhnlichen Filmemachers, den manche als Nachfolger von Charles Chaplin und Buster Keaton bezeichnen und der als Einzelgänger für die künstlerische Kontrolle über seine Filme kämpfte. Eine so kurze wie treffende Analyse eines Filmes wie aus der Feder David Bellos muss man lange suchen:

So ist der Film ‚Les Vacances de M. Hulot‘ ein außergewöhnlich paradoxer Film. Sein leicht verständlicher Humor machte ihn fast sofort zu einem Klassiker für Kinder; und entwickelte sich bald zu einem vergnüglichen, bis heute anhaltenden Dauerbrenner für Französischlernende im Ausland.
Doch ein Großteil des Films lebt nicht von komödiantischen Gags, sondern von Atmosphäre, die dank hervorragender Feinarbeit und mit subtilen Bild- und Ton-Bearbeitungstechniken konstruiert wurde. Der Film hat fast keine Handlung, und obwohl er Langeweile vor Augen führt, scheint er seine Zuschauer durchaus nicht zu langweilen. Während er die Ferientage am Meer zu feiern scheint, gibt er uns zu verstehen, wie trivial, sinnlos und deprimierend sie sind. Und er stellt uns einen Charakter vor, den zu beschreiben, oder gar kennenzulernen und zu verstehen, völlig unmöglich ist, dessen Name und Silhouette sich jedoch auf Anhieb als ein nahezu universelles Faszinosum erwiesen.   David Bellos – Seite 281.


Wer die Filme von Jacques Tati noch nicht kennt oder sie wiederentdecken möchte, dem seit diese Sammlung empfohlen (die Kurzfilme sind nur in der BD-Version enthalten):

Dieser Beitrag wurde unter > Filmbuch, Komödie abgelegt und mit , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort zu Jacques Tati – Sein Leben und seine Kunst

  1. Anonymous schreibt:

    Danke für den Tipp, werde ich mir im Lauf der Woche ansehen…

    Like

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..