Julie – Eine Frau gibt nicht auf

Land: Frankreich 2020  Laufzeit: 84 min.  Regie: Eric Gravel  Mit: Laure Calamy, Anne Suarez, Geneviève Mnich Label: Plaion  FSK: 16 – Ein Beitrag von Georgios Tsapanos

© Plaion

Einmal mehr sollte man den deutschen Titel dieses wundervollen Films sofort wieder vergessen. Zu sehr klingt „Julie – eine Frau gibt nicht auf“ nach irgendeiner Art feministischem Thriller, der er – zumindest so wie der Titel es suggeriert – nicht ist. Im Original heißt Regisseur Eric Gravels Werk „A plein temps“, was so viel wie „In Vollzeit“ heißt und die Seele des Kampfes seiner Protagonistin Julie Roy (Laure Calamy) trifft. Es geht um den Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit. Es geht um die Bebilderung des Umkehrschlusses des berühmten Spruchs „Zeit ist Geld“: Dass nämlich nur Zeit hat, wer Geld hat.

Julie hat weder von dem einen noch dem anderen genug. Sie steht einigen Zimmermädchen in einem Pariser Luxushotel vor und selbst unter der unerbittlichen Kontrolle ihrer Chefin. Die Arbeit ist streng und stets zu knapp getaktet, um sie wirklich gut erledigen zu können. Die Diktatur des Sekundenzeigers bestimmt Julies Leben aber nicht nur am Arbeitsplatz. Weil ihr Lohn ein Leben in Paris nicht erlaubt, wohnt sie weit außerhalb, in einem jener unzähligen Vororte in der Peripherie. Schlafstädte für alle, außer den Alten und den Kindern. Auch Julie hat Kinder, die von einer älteren Dame betreut werden, während Julie entweder bei der Arbeit, auf dem Weg zur Arbeit oder auf dem Weg von der Arbeit „nach Hause“ ist.

Die Alleinerziehende ist daher auf ein belastbares Nahverkehrssystem angewiesen, das das grausame Drehbuch (auch Eric Gravel) aber nach und nach unter Julies Füßen zusammenbrechen lässt. Erst ist auf die Zugverbindungen kein Verlass, dann auf die Busse und die Staus erledigen den Rest. Julie beginnt zu spät zu kommen. Vorstellungstermine auf der Suche nach einem besseren Job fallen in ihre Arbeitszeit. Die Nachrichten erzählen von Streik und Inflation. Die Bank sperrt ihr Konto, ihr Ex überweist den Unterhalt nicht, im Bad geht etwas kaputt und das alles während es den Geburtstag ihres Sohnes vorzubereiten gilt.

Gravel findet einen kongenialen Mix aus Bildern, Montage und Musik, um über die Manipulation der Erzählzeit die erzählte Zeit so sehr zu verdichten, dass die meisten genuinen Thriller neidisch würden und der alltägliche urbane Kampf dieser Frau, den Kopf immer gerade noch so über Wasser zu halten eine Faszination ganz eigener Art entfaltet. Irgendwann beginnt man sich zu fragen, wie dieses Vexierbild wohl enden mag. Tragisch? Dramatisch? Ironisch? Nur die realistischste Antwort, die kann es im Kino nicht geben: Gar nicht! „A plein temps“ ist ein Film, der sich die Chance, die man ihm geben sollte, hart erarbeitet.

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