In einem Land, das es nicht mehr gibt

Land: D 2022  Regie: Aelrun Goette  Mit: Marlene Burow, Sabin Tambrea, David Schütter, Claudia Michelsen, Jördis Triebel  LabelTobis  : 17.3.2023  FSK: 12 – Ein Beitrag von Georgios Tsapanos:

© TOBIS

Das Land, das es nicht mehr gibt und um das es im gleichnamigen Film – auch – geht, ist natürlich die DDR, die Deutsche Demokratische Republik. Allerdings war jene andere Übersetzung des Akronyms, Der Doofe Rest, wohl selten passender als angesichts „In einem Land, das es nicht mehr gibt“. Denn hier geht es nicht – nur – um Stasi, Repression und Mitläufer, sondern vor allem um Mode, Freiheit und Anarchie, VEB-Style.

Der Einstieg ist genretypisch. Falscher Aufnäher („Schwerter zu Pflugscharen“), falsches Buch („1984“ von Orwell) und schon darf sich die 18-jährige Suzie statt Abitur zu machen und Literatur zu studieren beim VEB Kabelwerk Oderspree in der Produktion bewähren. Wir schreiben 1989. Vom nahen Ende ist noch nichts zu sehen und noch weniger zu spüren.

Dieser Wendepunkt in Suzies Leben ist aber ein doppelter. Denn auf dem Weg zur Arbeit gerät das aparte Mädchen erst vor die Linse des Fotografen „Coyote“ und landet gleich darauf in der „Sibylle“. Wer jetzt nicht weiß, was das bedeutet, ist entweder beneidenswert jung oder hatte nicht minder beneidenswert nie etwas mit Staat und System der DDR zu tun.

Die „Sibylle“ (Untertitel: Zeitschrift für Mode und Kultur) war so etwas wie der Magazin gewordene ästhetische Gegenentwurf zur DDR. Die namhaftesten Fotografinnen und Fotografen der DDR – z.B Günter Rössler, Roger Melis oder Ute Mahler – veröffentlichten in dem Blatt, die Artikel bemühten sich um eine Leichtigkeit im Ton, die aber nichts mit Seichtheit zu tun hatte und die darin gefeierte Mode und Kultur hatte herzlich wenig mit dem sozialistischen Alltag zu tun. „Sibylle“, das war sozialistischer Glamour soweit sozialistischer Glamour möglich ist. Sie sah nicht nur anders aus, sie fühlte sich auch anders an. Nicht lange nach ihrem Erscheinen 1956 hatte sie auch den Spitznanen “ Vogue des Ostens“ weg. Weg waren auch die 200.000 Exemplare, die alle zwei Monate heraus kamen. Echte Bückware eben.

Man sieht es dem Film an, dass Regisseurin und Drehbuchautorin Aelrun Goette die Welt kennt, von der sie erzählt. 1985 war sie selbst mit gerade 19 als Covergirl entdeckt worden, nachdem auch sie einer sozialistischen akademischen Ausbildung für unwürdig befunden worden war. Die holte sie nach der Wende nach, auch an der Berliner HFF Konrad Wolf, wenn auch dann nicht mehr unter sozialistischen Vorzeichen.

Ist Suzie Goettes alter ego? Dass die Filmhandlung autobiographisch beeinflusst ist, leugnet sie nicht. Aber zum Glück für ihren Film vertraut die Regisseurin auf die ganz spezielle Authentizität der Fiktion. Das bewahrt „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ nicht vor dem einen oder anderen Klischee des real existierenden Sozialismus, erlaubt ihr aber doch über das Vehikel des so anderen Lebens Suzies, die Möglichkeit einer anderen, bunteren DDR aufblitzen zu lassen.

Suzies kulturelle Republikflucht beginnt als sie bei der „Sibylle“ zur festen Größe wird und den Modeschöpfer Rudi kennenlernt, mit dem gemeinsam sie erlebt, dass Ästhetik sich nicht notwendiger Weise im l’art pour l’art erschöpfen muss, sondern Begründung einer moralischen Haltung zu den Dingen und Ereignissen werden kann.

Aelrun Goette ist ein bemerkenswerter und gerade deshalb unterhaltsamer Film gelungen, der nicht leugnet, was war und doch verhandelt, was hätte sein können. Ist es Zufall, dass das Ganze von Frauen getragen ist, von den Charakteren und ihren Darstelletinnen, allen voran Claudia Michelsen als Elsa Wilbrodt, Jördis Triebel als Gisela und natürlich Marlene Burow als Suzie.

Die „Sibylle“ hat die DDR übrigens um fünf Jahre überlebt – ehe sich die „Ossies“ von der Möglichkeit der „Vogue des Ostens“ endgültig dem Irrealis der echten Vogue zugewandt haben. Zwischen den Bildern erzählt „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ auch von dieser Tragödie mit Ansage. Große Kunst. Absolute Guckempfehlung.

Werbung
Dieser Beitrag wurde unter Drama abgelegt und mit , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..