Laufzeit: 127 min. Land: Frankreich 2022 Regie: Jérôme Salle Mit: Gilles Lellouche, Joanna Kulig, Louis-Do de Lencquesaing, Michael Gor Label: Plaion Pictures VÖ: 23.2.2023 FSK: 16 – Ein Beitrag von Georgios Tsapanos:
Matthieu Roussel leitet ein französisches Kulturinstitut in Sibirien. Er liebt Frau und Tochter und alles ist gut, bis die Kultur, die er präsentiert, offenbar zu homoerotisch gerät. Der FSB stürmt sein Haus, verhaftet ihn und wirft ihn unter der Anklage „kinderpornographisches Material verbreitet sowie seine Tochter sexuell missbraucht zu haben“ ins Gefängnis.
Natürlich ist nichts davon wahr. Es ist vielmehr die Art von Wahrheit, die der russische Geheimdienst schon immer konstruiert hat, wenn er jemanden vernichten wollte. Es ist das titelgebende Kompromat, das was kompromittiert und das bis in die Gefängnisgesellschaft hinein, wo Kinderschänder bekanntlich auf der untersten Stufe der Hackordnung stehen.
So weit so wahr. Im wirklichen Leben. Denn so oder so ähnlich ist es Yoann Barbereau, Direktor des Irkutsker Büros der Alliance Francsise, tatsächlich ergangen. Wie ähnlich werden wir wohl nie erfahren, denn Regisseur und Co-Autor Jérôme Salle („Largo Winch I + II“) hat darauf verzichtet, die Rechte an Barbereaus Buch zu erwerben und eine eigene Geschichte erfunden, weshalb sich Barbereau wiederum vom Film distanziert und ihm vorgeworfen hat, sich zu weit gehende künstlerische Freiheiten erlaubt zu haben, worüber das Publikum am Ende wahrscheinlich eher froh sein sollte. Es ist eine komplizierte Geschichte.
Was man von der des Films „Kompromat“ leider eher nicht sagen kann. Salle vermeidet von Anfang an jede Verunsicherung der Zuschauer ob der Lauterkeit seines Protagonisten. Mathieu ist unschuldig und alle wissen es – inklusive des FSB selbst. Die ebenso alle umtreibende Frage, was interessiert den FSB an einem Kulturfuzzi, mündet in die für den Betroffenen fürchterlichste Antwort: Nichts. Ein Fehler ist passiert. Da aber dem FSB bekanntlich keine Fehler passieren, ist Mathieus Verurteilung zu einer mehrjährigen Haftstrafe beschlossene Sache.
Der Meinung ist offensichtlich auch sein Anwalt, dem es zwar gelingt, die Untersuchungshaft in Hausarrest mit elektronischer Fußfessel umzuwandeln, ansonsten aber Mathieu empfiehlt, lieber nicht auf das Gerechtigkeitsempfinden der russischen Justiz zu setzen und schlicht das Weite zu suchen.
Womit das zweite Problem des Films zutage tritt: Er weiß nicht, was er sein will. Oder er will zu viel zugleich sein. Bis zu diesem Zeitpunkt entwickelte er sich zu einem Justizthriller, in dem sich der Held gegen jede Chance eines übermächtigen Gegners erwehren muss. Ab diesem Zeitpunkt wird er zur Fluchterzählung, in der der Held von einem übermächtigen Gegner gejagt ein unüberwindlich scheinendes Hindernis nach dem anderen überwinden muss, angefangen damit, unbemerkt die Fußfessel los zu werden. Und als ihn seine Flucht bis in die französische Botschaft führt, deutet Regisseur Salle an, dass „Kompromat“ auch ein Politthriller hätte werden können, in dem der Mensch gegen die Stastsräson stets den Kürzeren zieht.
Wobei man dem Film Kürze im Wortsinne eher nicht vorwerfen kann. Eher das Gegenteil. Bei Mathieus Ankunft in der Botschaft sind nämlich noch ca. 30 Minuten Erzählzeit übrig, weshalb der erfahrene Zuschauer ahnt, dass der Politthriller bald zugunsten der Jagd wieder in die Kulisse wird zurück treten müssen. Nur eines ist „Kompromat“ tatsächlich zu keinem Zeitpunkt: der behauptete Spionagethriller.
Und das obwohl die milieutypischen Zufälle, die Mathieu auf seiner Flucht oft im berühmten letzten Augenblick vor Entdeckung und erneuter Einkerkerung bewahren, kaum noch als künstlerische Freiheiten durchgehen können, sondern vorsätzliche Beleidigungen der Logik wie der Intelligenz des Publikums darstellen. Zuerst und zuletzt bei Rolle und Funktion Svetlanas, der von Joanna Kulig verkörperten ebenso untreuen wie illoyalen Ehefrau eines FSB-Agenten, die Mathieu mehr als einmal rettet, weshalb auch immer. Der Verdacht, ihre Existenz im Film verdankt sich hauptsächlich der Tatsache, dass dem Auge nicht unangenehme Frauen einem Film nie wirklich schaden können, dürfte begründbar sein.
Am Ende ist es Hauptdarsteller Gilles Lellouche, dem Jérôme Salle zu Dank verpflichtet ist. Lellouche trägt nicht nur den Film als Jedermann in Gefahr, sondern auch über so manche dramaturgische Klippe hinweg, an der der Streifen mit einem anderen Darsteller leicht hätte zerschellen können. Ob die Nachricht, dass Lellouche als Erbe Gerard Depardieus im nächsten Asterix-Film („Asterix & Obelix im Reich der Mitte“) den Obelix geben wird, einen Karrieresprung für den verlässlichen Charaktermimen darstellt, mag jeder für sich selbst beurteilen. Sollte es ein Hollywood-Remake von „Kompromat“ geben, führt jedenfalls an Liam Neeson erkennbar kein Weg vorbei.