Land: USA 2019 Regie: Leigh Whannell Dauer: 125 min. Mit: Elisabeth Moss, Oliver Jackson-Cohen, Aldis Hodge, Storm Reid, Harriet Dyer Label: Universal VÖ: 9.7.2020 FSK: 16 – Ein Beitrag von Julian Dax:
Der Unsichtbare, nach der literarischen Vorlage von H.G. Wells aus dem Jahre 1897, gehört – neben Dracula, Frankenstein, dem Wolfsmenschen und der Mumie – seit den Dreißigern zum festen Stamm von Kinomonstern, die immer wieder Neuinterpretationen erlebt haben. Allerdings bringt es der wahnsinnige Wissenschaftler, der ein Serum entwickelt, das ihn unsichtbar macht, im Vergleich zu seinen „Kollegen“ lediglich auf eine Handvoll Verfilmungen; bevor Drehbuchautor und Regisseur Leigh Whannell jetzt mit seiner ganz eigenen Version aufwartet, war es Paul Verhoeven, der im Jahr 2000 unter dem Titel Hollow Man eine für seine Verhältnisse eher unspektakuläre Version ablieferte.
Cecilia (Elisabeth Moss), eine Architektin aus San Francisco ist im wahrsten Sinne des Wortes gefangen in einer mehr als problematischen Beziehung zu Adrian, einem genialen Erfinder und zwanghaften Kontrollfreak. Zu Beginn des Filmes erleben wir in einer äußerst spannenden Sequenz, wie sie in einer stürmischen Nacht ihren offensichtlich bereits lange vorbereiteten Plan in die Tat umsetzt und das festungsähnliche Anwesen verlässt.
Zwei Wochen später befindet sie sich im Haus eines befreundeten Polizisten und dessen Tochter und erhält von Adrians Bruder Tom, einem Rechtsanwalt, die Mitteilung, Adrian habe sich das Leben genommen, wohl aus Verzweiflung über ihre Flucht. In seinem Testament hat er Cecilia 5 Millionen Dollar hinterlassen, unter der Bedingung, dass sie sich keinerlei strafbarer Vergehen schuldig macht. Eigentlich müsste Cecilia jetzt erleichtert sein, doch nach einer Reihe merkwürdiger und unerklärlicher Vorfälle ist sie davon überzeugt, dass Adrian noch lebt und sie und die Menschen in ihrer Nähe terrorisiert. Hat sie recht mit ihrer Vermutung oder verliert sie allmählich den Verstand?
Bereits mit den ersten 10 Minuten – Cecilias Flucht aus dem Haus auf den Klippen – legt Leigh Whannell den Grundstein für das, was in den nächsten zwei Stunden folgt: Sowohl für die Hauptfigur als auch für den Zuschauer entsteht von Anfang an eine Atmosphäre der permanenten Bedrohung, eines Ausgeliefertseins ohne die Möglichkeit einer tatsächlichen Befreiung. Indem er den Focus ausschließlich auf das Opfer richtet, nicht den Täter, den man zudem nur ganz kurz am Ende wirklich sieht, gelingt dem Regisseur die totale Identifikation des Publikums mit Cecilia. Und so ganz nebenbei leistet er auch noch einen ganz eigenen Beitrag zu #MeToo.
Dabei hat er das große Glück, mit Emmy-Preisträgerin Elisabeth Moss (The Handmaid’s Tale) eine Schauspielerin zu haben, die den Anforderungen ihrer Rolle absolut gewachsen ist und jeden einzelnen Schritt von Cecilias Entwicklung äußerst glaubhaft zu spielen vermag; wenn man bedenkt, dass es im ganzen Film praktisch so gut wie keine einzige Szene ohne sie gibt, sie quasi alles trägt, kann man ihre Leistung gar nicht hoch genug einschätzen.
Wenn es etwas zu kritisieren gibt, dann ist es höchstens das allzu action-lastige Finale, bei dem das Verständnis selbst des gutwilligsten Zuschauers doch etwas strapaziert wird. Andererseits hat Der Unsichtbare bis dahin die Spannung derart kontinuierlich angezogen, ohne sich dabei billiger „jump scares“ zu bedienen, dass man gewillt ist, auch Cecilias spektakulären Gefängnisausbruch zu akzeptieren. Zumal der Film am Ende mit einer echten Überraschung aufwarten kann, mit der man nun wirklich nicht gerechnet hätte.