Autor: Tim Pröse Verlag: Heyne, November 2018 Umfang: Hardcover mit Schutzumschlag, 352 Seiten, 13,5 x 21,5 cm, 18 s/w Abbildungen ISBN: 978-3-453-20190-3 Preis: € 20 [D] | € 20.60 [A] | CHF 28.90 empfohlen
Gelesen hat Julian Dax
Kennen Sie Die Lochis?
Wissen Sie, wer Dagi Bee ist?
Oder Pietro und Sarah Lombardi?
Sollten Sie älter sein als 15, sagen Ihnen diese Namen sicher wenig bis gar nichts, denn es handelt sich dabei um Facebook- bzw. YouTube- oder Instagram-„Helden“ von heute.
Nach der Lektüre von Tim Pröses neuem Buch Samstagabendhelden hat man den mehr als begründeten Verdacht, dass über diese und ähnliche Gestalten nie jemand ein Buch verfassen wird – und das ist auch gut so!
In seinem mittlerweile dritten Buch porträtiert der Journalist und Autor insgesamt 32 aus Film, Funk und Fernsehen bekannte Persönlichkeiten – von Udo Lindenberg bis Bernd Eichinger und Barbara Rudnik – zu denen er allesamt eine ganz besondere Beziehung hatte bzw. hat, sei es persönlich oder professionell. „Sie waren und sind echte Helden des Entertainments. Sie stehen für grandiose Unterhaltung, große Gefühle und ergreifende Lieder. Weil sie unverwechselbar, kantig und einzigartig sind und uns an jene glücklichen Samstagabende erinnern, an denen wir die Welt um uns vergaßen und ein paar Stunden abtauchten in ein Gefühl zwischen Zuhause, Geborgenheit und Glück.“ Soweit der Klappentext.
Schaut man sich nun die einzelnen Kapitel etwas genauer an, dann fallen gleich mehrere Dinge besonders auf: Manche der vorgestellten Personen haben längere Texte erhalten, andere werden relativ kurz abgehandelt, und in Einzelfällen sogar zusammengefasst. Unter all den Persönlichkeiten befinden sich nur vier Frauen. Und überhaupt erscheint einem die Auswahl der Portätierten extrem individuell und eklektisch. In seinem Vorwort versucht der Autor zu erklären, was ihn zum Schreiben motiviert hat: „Unseren legendären Samstagabendhelden zur Ehre. Und was das Schönste ist: Die meisten großen Künstler in diesem Buch leben ja noch. Auch deswegen habe ich es geschrieben: um ein paar Unsterbliche von heute zu feiern. Es wird für sie keine Nachfolger geben.“
Wahrlich große Worte, die jedoch keineswegs übertrieben wirken, wenn man sich die individuellen Porträts näher anschaut. Im Kapitel über Hans-Joachim Kulenkampff bezeichnet sich Tim Pröse als typisches „Kind der Siebziger“ „Wenn Kuli kam, waren Deutschlands Straßen tatsächlich leer gefegt. Der Mann aus Bremen war zu seinen Glanzzeiten einer der größten Samstagabendhelden – und mein großer Kindheitsstar.Er war nicht nur einer der besten der hier porträtierten Zeitanhalter, sondern auch der berühmteste Zeitüberzieher, weil er jedes Sendeformat einfach verplauderte und die Menschen sich damals noch von so etwas hinforttragen ließen.“ Insofern betrachtet er auch Thomas Gottschalk als dessen einzig legitimen Nachfolger.
Bereits Verstorbenen nähert sich Pröse originellerweise über deren letzte Ruhestätten, was z. B. dazu führt, dass er die beiden Namensvettern Curd und Udo Jürgens in einem Kapitel zusammen abhandelt, weil ihre Gräber auf dem Wiener Zentralfriedhof nicht weit voneinander entfernt sind. Und im Falle von Jan Fedder hat der Autor die Idee, möglichst viele von dessen Schauspielkollegen aus Wolfgang Petersens „Das Boot“ zu einer Art von Klassentreffen einzuladen.
Manche Kapitel, so z.B. die über Konstantin Wecker, Götz George oder Christiane Hörbiger enthalten seine einstmals originalen Interviews und offenbaren Pröses ebenso investigative wie auch gleichzeitig äußerst einfühlsame Fragetechnik, bei der man als Leser stets den Eindruck hat, es gehe ihm tatsächlich um den Menschen, den er befragt, nicht den Star bzw. die Kunstfigur. Und in den Texten über Hape Kerkeling, Diether Krebs oder Alfred Biolek, in denen er sich mit den tragischen Ereignissen in deren Leben beschäftigt, offenbart er eine ganz besondere Empathie, die an keiner Stelle ins Voyeuristische oder Sensationelle abgleitet.
Einen ganz besonderen Stellenwert besitzt für Pröse eindeutig Udo Lindenberg, dem er sowohl das erste als auch das letzte Kapitel widmet, in dem er über ihn schreibt: „Er ist der Phönix für so viele. Und seine Flügel sind so weit, dass wir alle auf ihnen mitfliegen. Drei Stunden in den Stadien und weit darüber hinaus. Udo hat mich bestärkt, selbst zu schreiben. Von seinen Liedern fühle ich mich angetrieben bis heute. Ich begann auch wegen ihm, meine Porträts über Retter, Überlebende und Widerständige im Dritten Reich zu recherchieren, und schrieb dann mein Buch Jahrhundertzeugen. Die Botschaft der letzten Helden gegen Hitler. Udo verfasste eine Kurzkritik zum Buch: `Diese mutigen Menschen trugen ein Feuer in sich. Wir müssen es bewahren. Dieses Buch betet nicht ihre Asche an, sondern reicht die Flamme weiter.´“
Und auch die in Samstagabendhelden Porträtierten trugen bzw. tragen – jeder auf seine Weise – ein Feuer in sich, das der Autor sichtbar zu machen versteht, indem er deren Einzigartigkeit sehr deutlich in Erscheinung treten lässt.
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