HEREDITARY – Das Vermächtnis

Land: USA 2018  Laufzeit: 123 min  Regie: Ari Aster  Mit: Toni Collette, Gabriel Byrne, Alex Wolff, Milly Shapiro, Ann Dowd, Mallory Bechtel   Kinostart: 14.6.2018

Ein Beitrag unseres Familienberaters Julian Dax:

© Splendid Film

Während Horden johlender Jugendlicher im Kino den achten Teil von Saw oder zu Hause am Bildschirm den sechsten Teil von Wrong Turn gucken, die heutzutage als typische Beispiele für Horrorfilme gelten, denkt man mit einer gewissen Wehmut an die Zeiten zurück, als Rosemary´s Baby, Der Exorzist oder The Shining den Beweis lieferten, dass dieses Genre nicht unbedingt primitiv sein muss und auch von einem anspruchsvollen Publikum akzeptiert wird – solange zumindest, wie es sich nicht darin erschöpft, möglichst viel Blut und Eingeweide über die Leinwand zu verteilen.

In seinem Erstlingsfilm Hereditary – Das Vermächtnis knüpft Ari Aster an die Zeit, als Horror sich nicht in erster Linie darin erschöpfte, möglichst viele Menschen auf möglichst brutale Art und Weise abzuschlachten, sondern den Schwerpunkt auf die Charaktere selbst legte, Schritt für Schritt deren in Unordnung geratene Psyche erkundete und die für alle Beteiligten katastrophalen Folgen aufzeigte.

Nach Außen hin führt Familie Graham ein Leben, das man guten Gewissens als beschaulich bezeichnen könnte. Annie (Toni Collette) ist nicht nur ihren Kindern Tom (Alex Wolff) und Charlie (Milly Shapiro) eine liebevolle Mutter und ihrem Mann Steve (Gabriel Byrne) eine treusorgende Ehefrau, sie ist auch noch Künstlerin; ihre Miniaturen, in denen sie sehr akribisch Räume und Menschen in allen möglichen Situationen darstellt, haben ihr bereits Ruhm und Geld eingebracht. Mit dem Tod von Annies Mutter Ellen endet die scheinbare Idylle jedoch von heute auf morgen. Zunehmend sieht sich Familie Graham mit beunruhigenden Erkenntnissen und Ereignissen konfrontiert, deren Ursprung in der geheimnisvollen Vergangenheit der verstorbenen Patriarchin liegt.

Bereits große griechische Theaterautoren wie Sophokles stellten sich die Frage, ob es schlimmer sei, die persönliche Tragödie als Folge eines eigenständigen Handelns herbeizuführen oder einer Art Familienfluch zu unterliegen, gegen den man vollkommen machtlos ist. Und genau dieselbe Frage stellt auch Hereditary – Das Vermächtnis, wobei er sie jedoch ebenso wenig beantwortet, wie es die antiken griechischen Tragödien tun. Der Film nimmt sich in der ersten Stunde sehr viel Zeit, um die vier Familienmitglieder eingehend zu charakterisieren, wobei dem Zuschauer nach und nach klar wird, dass deren nach Außen projizierte heile Welt eine Fassade ist. Vor allem die 13jährige Charlie sieht nicht nur etwas seltsam aus – sie benimmt sich auch höchst eigenartig; sie ist es auch, die unter dem Tod der Großmutter besonders leidet, während man den Eindruck bekommt, für Annie sei es eine Erleichterung, nicht mehr die dominante Mutter um sich haben zu müssen. Tom wird als typischer „Slacker“ präsentiert, der am Liebsten mit seinen Kumpels abhängt und kifft. Vater Steve dagegen scheint so etwas wie der Anker zu sein, an dem die Ereignisse noch am wenigsten sichtbare Spuren hinterlassen.

An dieser Stelle sollte man über das, was in der zweiten Stunde folgt, eigentlich nichts mehr verraten, denn diesen Film muss man mit so wenig Vorwissen wie nur möglich anschauen, damit er seine volle Wirkung entwickelt. Deshalb nur so viel: Kann man den ersten Teil noch als eine sich langsam entwickelnde Familientragödie bezeichnen, hat man ab einem gewissen Punkt das Gefühl, es öffne sich eine unsichtbare Bodenklappe und man werde als Zuschauer in einen bodenlosen Abgrund gestoßen, aus dem es absolut kein Entrinnen gibt. Ari Aster, unterstützt von seiner beeindruckend aufspielenden Besetzung, einem wirklich gruseligen Tondesign und Einstellungen, die so manchem Zuschauer nachhaltige Alpträume bescheren dürften, macht, wie man so schön sagt, keine Gefangenen. Definitiv einer der besten Horrorfilme der vergangenen Jahre!

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Eine Antwort zu HEREDITARY – Das Vermächtnis

  1. steffelowski schreibt:

    Das liest sich sehr gut. Film wurde soeben der mentalen Watchlist hinzugefügt.

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