The Pedro Almodóvar Archives

Buchtitel: The Pedro Almodóvar Archives  Autor: Paul Duncan [Hrsg.]
Verlag: TASCHEN, November 2017  Umfang: Hardcover, 33,7 x 24,6 cm, 456 Seiten
ISBN: 978-3-8365-4792-5  Preis: 49.99 Euro

Julian Dax hat sich die englische Ausgabe des Wälzers angesehen:

© TASCHEN

Was haben Charlie Chaplin, Ingmar Bergman, Stanley Kubrick und neuerdings auch Pedro Almodóvar gemeinsam, außer natürlich, dass sie alle stilbildende und weltberühmte Regisseure sind? Der renommierte Taschen-Verlag hat alle vier für würdig erachtet und ihnen einen äußerst opulenten und mehrere Kilo schweren Großband aus seiner „Archives“- Serie gewidmet. Und diesen Umstand kann man guten Gewissens als eine Art Ritterschlag bezeichnen.

Auf 456 Seiten, die meisten davon überreichlich bebildert, werden alle bisherigen Kinofilme des spanischen Regisseurs in aller Ausführlichkeit und in chronologischer Reihenfolge präsentiert. Los geht es mit Pepi, Luci, Bom aus dem Jahre 1980, und als vorläufigen Endpunkt findet man Julieta, der 2016 in die Kinos kam. Wie Thierry Frémaux, gegenwärtiger Leiter der Filmfestspiele in Cannes, in seinem Vorwort festhält, habe es lange gedauert bis zur Entdeckung von Almodóvars Talent; erst 1999 erhielt er für Alles über meine Mutter die begehrte Goldene Palme in der Sparte „Beste Regie“, der nur wenige Monate später noch sowohl der Golden Globe als auch der Oscar für den besten fremdsprachigen Film folgten. Almodóvar hatte es endgültig geschafft und hatte sich vom „enfant terrible“ seiner Anfangsjahre zu einem weltweit geachteten und anerkannten Meisterregisseur entwickelt.

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„Ich versuche gar nicht zu provozieren. Ich benehme mich absolut natürlich, doch manchmal erscheint das skandalös. (…) Das bin ich gewohnt, das kenne ich seit meiner Kindheit. Deshalb begab ich mich nach Madrid, sobald ich es konnte, denn da gibt es Menschen, die viel seltsamer sind als ich, und so falle ich nicht weiter auf.“

Soweit Almodóvar selbst über den Beginn seiner Karriere. Und schaut man sich seine ersten Gehversuche als Regisseur an – allesamt Filme, die von Charakteren bevölkert sind, die man gemeinhin als „schräg“ bezeichnen könnte – wird doch gleichzeitig auch deutlich, wie sehr Spanien auf den Moment gewartet haben muss, alles das, was während der Franco-Diktatur tabuisiert oder gleich ganz verboten war, endlich an die Öffentlichkeit zu bringen. Dabei setzte sich Almodóvar mit an die Spitze der sog. „Movida“, einer von diversen Künstlern ins Leben gerufenen Bewegung, die zum Symbol einer freien und toleranten Gesellschaft wurde.

Mit Filmen wie Labyrinth der Leidenschaft (1982), Matador (1986) oder Das Gesetz der Begierde (1987) trug der „spanische Fassbinder“, wie man ihn vor allem in Deutschland nannte, enorm viel bei zur Emanzipation von Menschen mit sog. „alternativen Lebensentwürfen“, sprich Homosexualität, Transsexualität, Fetischismus etc. bei . Und natürlich bekam auch die katholische Kirche wegen ihrer Leibfeindlichkeit und Heuchelei schon sehr früh seinen Zorn zu spüren.

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Sind es in den Anfangsjahren in erster Linie noch männliche Charaktere, denen sein Hauptaugenmerk gilt, stellt er spätestens mit Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs (1988) immer mehr starke Frauenfiguren in den Mittelpunkt seiner Filme. Stets jedoch geht es um die äußerst komplexen und widersprüchlichen Beziehungen und Verhaltensweisen von Menschen in Lebenskrisen. Doch auch in formaler Hinsicht beginnt Almodóvar verstärkt zu experimentieren: So erzählt er in La Mala Educación – Schlechte Erziehung (2004) gleich mehrere ineinander verschachtelte Geschichten, die sich auch nicht unbedingt an eine eindeutige Chronologie halten. Ausgehend von seinen eigenen Erfahrungen als Kind, stellt er darin der katholischen Kirche ein geradezu vernichtendes Urteil aus: „Meine religiöse Erziehung und die meiner Generation war wirklich katastrophal. Wenn man neunjährigen Kindern eintrichtert, an so etwas wie Schuld und Sühne zu glauben, macht man sie höchstens zu Psychopathen.“

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Auch wenn man natürlich nicht alle seine 20 bisherigen Filme als unumstrittene Meisterwerke loben kann – Fliegende Liebende (2013) ist eine zuweilen nur schwer erträgliche Klamotte – überwiegen doch Filme, die aufgrund ihrer Thematik und Machart nicht aus der Mode kommen und immer wieder sehenswert sind.

Blättert man nun den vorliegenden Band durch, betrachtet die aussagekräftigen Fotos und liest (allerdings ist der Text ausschließlich in englischer Sprache abgefasst!) den einen oder anderen der umfassenden Beiträge zur Entstehung und Rezeption der einzelnen Filme sowohl aus damaliger als auch heutiger Sicht, kommt man letztlich nicht umhin, den Hut zu ziehen – vor einem der originellsten Regisseure unserer Zeit und vor einem Verlag, der erneut seine Ausnahmestellung in der Bücherszene unter Beweis stellt.


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